Das Bundeskuratorenmodell und die staatliche Kulturpolitik Österreichs in den 90er Jahren
von Susanne Habitzel

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Anmerkungen zum Beginn der Bundeskuratorentätigkeit


1990 läuft eine neue Legislaturperiode an. Gleichzeitig beginnt auch die Tätigkeit des neuen Bundesministers für Unterricht und Kunst, Dr. Rudolf Scholten.
Bereits im Vorwort seines "ersten Kunstberichts“ aus dem Jahr 1990 setzte Rudolf Scholten erste Signale in Richtung zusätzlicher Aktivitäten im Bereich der Kunstförderung:

    Wenn ich dennoch diesen Kunstbericht in meiner Eigenschaft als der für die Kunstförderung nunmehr verantwortliche Minister einleite, so geschieht dies in dem Bewusstsein, dass in der Kulturpolitik Kontinuität ebenso wichtig ist wie Innovation, das Wissen um das bisher Geleistete und Erreichte und die Beibehaltung erfolgreicher kulturpolitischer Maßnahmen ebenso notwendig, wie die Einführung von Neuem, die Anpassung an geänderte Umstände und neue gesellschaftspolitische Konstellationen.
    (Bundesministerium für Unterricht und Kunst, "Kunstbericht 1991“, Vorwort des Bundesministers Dr. Rudolf Scholten, Wien, 1991, S. I)

Schon im folgenden Jahr weist Minister Scholten auf das neu geschaffene Kuratorenmodell hin:

    So wurde im vergangenen Jahr neben den Beiräten und Jurys, die als Beiratgremien in Kunstfragen dienen, zum ersten Mal im Bereich bildender Kunst das sogenannte Kuratorenmodell realisiert.
    Kuratoren erhalten eigenverantwortlich ein gewisses Budget und organisieren in diesem Rahmen Veranstaltungen, Ausstellungen, Projekte im In- und Ausland, wobei der Akzent auf dem Ungewöhnlichen und Zukunftsweisenden liegt. Im Unterschied von Beiräten sind Kuratoren nicht von Jurysitzungen und Beiräten abhängig, sie können schnell und unbürokratisch entscheiden, tragen aber auch Verantwortung für ihre eigenen Projekte.

    (Bundesministerium für Unterricht und Kunst, "Kunstbericht 1991“, Vorwort des Bundesministers Dr. Rudolf Scholten, Wien, 1991, S. I)

Die administratorische Verwaltung des Kuratorenmodells lag vorerst im Zuständigkeitsbereich der Sektion für Unterricht und wurde erst 1995 an die Sektion für Kunstangelegenheiten übertragen. 1997 wird das Bundesministerium aufgeteilt, damit geht die gesamte Kunstsektion in den Verantwortungsbereich des Bundeskanzleramts über.

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Der Aufbau und die Organisation der Kunstförderung des Bundes in Österreich am Beispiel des Jahres 1990

Bis auf den modellhaften Versuch des Bundeskuratorenmodells hat sich die Struktur der staatlichen Kunstförderung von Seiten des Bundes, trotz deutlich wachsender Kritik, bis heute nicht verändert. Folglich spiegelt eine genauere Analyse dieser am Beispiel des Jahres 1990 grundsätzlich auch die heutige Situation wider.
In den meisten Ländern, aber auch in der Bundesverwaltung, folgen zahlreiche Entscheidungen den Empfehlungen von Beiräten oder Jurys. Diese Beiräte haben unterschiedliche Größe, unterschiedliche Geschäftsordnungen und unterschiedliche Bestellungs- und Vorlagefristen.
Jedes Jahr legt das Land Österreich in Form von Kunstberichten im Bereich des Bundes und teilweise auch der Länder (Wien, Niederösterreich, Oberösterreich, Burgenland und Tirol) Rechenschaft über die Ausgaben im Kunstbereich ab. Da die einzelnen Länder, der Bund und vor allem die Gemeinden, die zumeist keine Berichte publizieren, nicht zu einer Absprache oder einer gemeinsamen Offenlegung ihrer Ausgaben gezwungen sind, lässt sich keine genaue Angabe zu den tatsächlich aufgebrachten Mitteln machen.
Im Jahr 1990 stand der Kunstförderung von Seiten des Bundesministeriums für Unterricht und Kuns laut Kunstbericht ein Gesamtbudget von 605,576.000.- öS zur Verfügung. Dieses Budget wurde auf 7 Unterabteilungen aufgeteilt:
1. Abteilung 41, Bildende Künste u. Ausstellungen (Inland), Künstlerhilfefonds
2. Abteilung 42, Musik und darstellende Kunst
3. Abteilung 43, Fotowesen, ÖFF
4. Abteilung 44, Filmwesen
5. Abteilung 45 Literatur
6, Abteilung 46, Jugendliteratur
7. Abteilung 47, Bildende Künste u. Ausstellungen (Ausland)
1991 wurden die Abteilungen noch um die Abteilung 48, Kulturinitiativen/Kulturentwicklungen, erweitert, die aus der Abteilung 47 ausgegliedert und ergänzt wurde. Das Kuratorenmodell scheint, wie bereits in Kapitel 1.1 erwähnt, im Kunstbericht 1991 und in den Folgeberichten -1995 nicht auf, da es bis dahin im Bereich Unterricht eingebunden war.
Für den Bereich der bildenden Künste, ohne Berücksichtigung der Grenzbereiche Fotografie und Film, belief sich 1990 die Summe der Aufwendungen in der Abteilung 41, bildende Kunst mit den Kategorien Personenförderung
(4,366.419.- öS), Staatsstipendien, Preise und Kunstankäufe (6,643.189.- öS), Galerienförderung (735.000.- öS), Artothek (735.000.- öS) und den zusätzlichen Fördermaßnahmen wie z.B. Künstlerhilfefonds, Karenzgeld und Ausgaben für die Kommission auf insgesamt 42,008.987.- öS. Diese Ausgaben, die gewissermaßen das vielberüchtigte "Gießkannenprinzip“ finanzieren, blieben anteilsmäßig auch in den Folgejahren gleich.
Für die Abteilung IV/7 , bildende Kunst und Kulturpolitische Grundsatzabteilungen mit den Bereichen Inländische Vereine, Großprojekte, Kooperationen, Auslandsprojekte, Ausstellungen, Institutionen, Galerien, Einzelförderung für Künstler (Projekte, Transport, Kataloge..), Biennalen, Triennalen, Kunst am Bau, Preise, Auslandsstipendien und Ateliers belief sich die Summe auf 31,401.267.- öS.
Insgesamt beliefen sich die Ausgaben für den Bereich bildende Künste auf
73,410. 254.- öS, also auf rund 12% des gesamten Kunstbudgets.
Die zusätzlich zu diesem Budget aufgebrachten 15,000.000.- öS für das Kuratorenmodell waren also im direkten Vergleich mit dieser Summe oder zu den Einzelförderungen sehr beachtlich.
Die einzelnen Abteilungen und deren Unterabteilungen setzen sich aus mehrköpfig besetzten Vorstandsmitgliedern, diversen Beiräten (bildende Künste: 3), untergeordneten Beiräten aus den einzelnen Bundesländern (bildende Künste: 9), Kommissionen und Jurys (bildende Künste: 1) zusammen. Eigene Kommissionen (bildende Künste: 1) im Ministerium bestimmen zusätzlich über die Aufnahme in die Künstlersozialversicherungen.
Die Aufgabe des Beirats der Abteilung 41 besteht aus der Erstattung von Vorschlägen für Fördermaßnahmen, der Abgabe von Gutachten und der Stellungnahme zu allgemeinen Angelegenheiten innerhalb der Abteilung.
Neben dem Beirat sind eigene Ankaufsjurys eingerichtet (Bundesbeiräte), denen in der Regel Vertreter der im Land ansässigen Künstlervereinigungen angehören, weiters auch Kunstkritiker und zum Zwecke der Koordination der Förderankäufe des Bundes mit den Förderankäufen der einzelnen Bundesländer auch Vertreter der Landeskulturämter.
Die zwei Beiräte der Abteilung 47 waren einerseits für Ausstellungsprojekte im In- und Ausland, Auslandsstipendien, Auslandsateliers, Preisvergaben, die Kulturrepräsentation Österreichs, Architektur und Mode und Design sowie, als zweite Abteilung, für Kunst am Bau verantwortlich.
Die komplizierte, komplexe Struktur dieses Fördersystems sollte eine möglichst objektive und weitreichende Förderung ermöglichen, gleichzeitig erwies sie sich aber als entsprechend schwerfällig und unübersichtlich. Die Kunstberichte machen zwar viele der einzelnen Ausgaben in Zahlen sichtbar, die Vergabemodi bleiben aber weitgehend intransparent. Ein koordiniertes, österreichweites Vorgehen fand und findet nur eingeschränkt statt. Vorhandene Daten und Statistiken lassen sich nur schwer vergleichen, weil keine gemeinsamen Kriterien vorliegen.
Zudem bot das damalige Modell - also das Modell vor 1991, aber auch das aktuelle von 2000 - keine aktiven Einrichtungen an, die - ähnlich wie das Kuratorenmodell - direkte Fördermaßnahmen, infrastrukturelle Verbesserungen oder zeitgemäße, spartenübergreifende Fördermöglichkeiten anbieten, die der tatsächlichen Situation des Kunstgeschehens entsprechen würden.
Tatsächlich ist die Kunst und Kulturverwaltung aller Gebietskörperschaften größtenteils auf die Antragsförderung ausgerichtet. Darüber hinaus nähren die undurchschaubaren Vergabemodi den permanenten Verdacht auf Lobbyismus.
In vielen Fällen sind in einer Person oder Abteilung unvereinbare Kompetenzen anzutreffen, da gleichzeitig Kontrolle, Durchführung und Schaffung von Rahmenbedingungen geleistet werden.
Auch für längerfristige Projekte oder ständige Einrichtungen werden die Förderungen, der kameralistischen Buchführung entsprechend, im Jahresrhythmus vergeben und direkte und kurzfristige Unterstützungen erschwert.
Ein weiteres Manko liegt aber auch im Bereich der Steuer- und Sozial-
gesetzgebung, die ein privates Engagement erschweren und KünstlerInnen unzureichend versichert.
Die Kritik von Seiten der Künstlerschaft richtete sich folgerichtig dahingehend, aber auch gegen das "Gießkannenprinzip“ und die obsolete Praxis der Ankaufspolitik, die in den Augen vieler Künstler eher einer verdeckten Sozialpolitik gleichkommt.
Auch wenige Jahre später, in der Feldstudie "When attitude becomes norm“ von Lioba Reddeker aus dem Jahr 1994 (für den Zeitraum von 1992-93), zeigte sich die Unzufriedenheit der Künstlerschaft und der Galeristen mit dem damaligen staatlichen Fördersystem deutlich.
Nachdem nur ein geringer Teil der KünstlerInnen von Galerien vertreten wurde, wurde im Rahmen der Studie vor allem der Ruf nach einer umfangreicheren, mutigeren Direktförderung und nach entsprechenden geförderten non/low-profit spaces, aber auch nach einer Verbesserung der Infrastruktur bezüglich der Informationsweitergabe bis hin zu Maßnahmen, die die Vermittlungsarbeit und die Kunstkritik verbessern können, laut.

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Die Situation der bildenden Kunst und der Kunstvermittlung in Österreich Anfang der 90er Jahre

In den 80er Jahren sind die öffentliche- und die staatliche Kunstrezeption, aber auch die Ankäufe und die öffentliche Subventionsvergabe sehr stark durch Personalisierungstendenzen und die daraus resultierende Hinwendung zu einzelnen nationalen Künstlerpersönlichkeiten gekennzeichnet. So werden etwa vergessene oder vertriebene Künstler und Kunstrichtungen, wie der Wiener Aktionismus, wiederentdeckt.
Gleichzeitig kam es - bestärkt durch den allgemein herrschenden wirtschaftlichen Optimismus und durch die Wiederbelebung der Malerei durch die Neuen Wilden - zu einer deutlichen Vermehrung der Galerien.
Während die Tätigkeit vieler Galerien der 70er Jahre unter dem Motto der Informationsgalerie, mit einem Schwerpunkt auf inhaltliche und theoretische Vermittlung von aktuellen Tendenzen und Bewegungen, gestanden hatte, entsteht nun ein neuer Typus, der hauptsächlich auf den Verkauf einzelner Werke ausgerichtet ist.
Auch als sich gegen Mitte der 80er Jahre viele Künstler, beeinflusst von den transnationalen, aktuellen philosophischen Diskursen mit neuen übergreifenden Thematiken beschäftigen, werden diese meist nur im Zusammenhang mit einzelnen Personen oder einzelnen Arbeiten ohne eigentlichen Kontextbezug wahrgenommen. Während man international spezifische künstlerische und theoretische Richtungen und explizite Gruppenbildungen nicht nur im Rahmen von Großveranstaltungen, sondern auch im Bereich der Galerien antrifft und entsprechend rezipiert, können sich solche Versuche in Österreich vorerst nur selten durchsetzen. Zudem war die Bereitschaft der KünstlerInnen für eine gemeinsame Arbeit an kollektiven Zielen und Thematiken in gesellschaftspolitischen, politischen und sozialen Bereichen, wie etwa vergleichsweise in Amerika, kaum vorhanden.
Erst mit der Wende zu den 90er Jahren kündigt sich ein Paradigmenwechsel mit der Anbindung Österreichs an eine konzeptuell und kontextbezogene Kunst auch außerhalb der nationalen Grenzen an.
Anfang der 90er Jahre setzt allerdings ein großes Galeriensterben ein. So schließen etwa die Galerien Metropol, Pakesch, Ewerbeck, Ballgasse, Pinx, Zumtobel oder die Galerie Theuretzbacher, um nur einige zu nennen.
Insgesamt kann man also die Situation der privaten Infrastruktur als Ort kontroversieller Kunstproduktion, öffentlicher Diskussion und künstlerischer und kultureller Fragestellung, im Vergleich zu Ländern wie Deutschland, mit einer reichhaltigen Struktur an Kunstvereinen und privaten Institutionen, als unterrepräsentiert bezeichnen.
Anstelle solcher Institutionen bleibt einzig der Staat, sei es mit städtisch finanzierten Kunsthallen, Ausstellungen, Veranstaltungen oder der staatlichen Kunstförderung. Der Staat ist gewissermaßen gezwungen, die fehlenden privaten Initiativen zu ersetzen. Und eine dieser Maßnahmen stellte auch das neuinstallierte Bundeskuratorensystem dar.
Im Auftrag der ersten Bundeskuratorin, Cathrin Pichler, erarbeiteten Ulf Wuggenig, Vera Kockot und die spätere Bundeskuratorin Lioba Reddeker die bereits im Kapitel 1.2 erwähnte Studie zur zeitgenössischen Kunstrezeption und zu den Problemen des Kunstmarkts in Österreich, auf die ich in der Folge genauer eingehen möchte.
Im Vorwort der Studie wirft Lioba Reddeker folgende zentrale Fragen auf:
Wie sind die gesellschafts- und kulturpolitischen Bedingungen eines Kunstmarkts, die weitgehend als diffus bezeichnet werden?
Wie ist das Kunstförderungsverhalten des Staates zu beurteilen?
Schafft das österreichische Förderungssystem monopolistische oder halbfeudale Strukturen, die eine liberale und internationale Relevanz des Kunstmarktes erschweren?
Mit welchen Strategien, Handlungen und Reaktionen antworten die Kunstproduktion als auch die Kunstvermittlung auf diese politischen Voraussetzungen?
Weitere Fragen betreffen jene Problemstellungen, die sich aus der teilweisen Verlagerung der Kunstproduktion in einen Bereich, der sich schwerpunktmäßig mit der Verfügbarkeit von Information und Ideen auseinandersetzt, ergeben.
Im Rahmen einer Feldforschung österreichischer und deutscher Ausstellungsbesucher werden im ersten Teil der Studie die Themenbereiche von der Ausstellungsbewertung, der Rezeption, dem Interesse an künstlerischen Medien, Strömungen und Richtungen, dem kunstbezogenen Informationsniveau und -verhalten bis zu den sozialen Positionen im ästhetischen Feld behandelt.
Einerseits konnte in Österreich eine deutliche Dominanz von Statusgruppen mit hoher Bildung festgestellt werden. Andererseits nehmen 44% der Besucher Ausstellungen nur rein visuell wahr, ohne etwas über die Hintergründe der vertretenen Positionen zu wissen.
Im Kreis dieses schwach über die zeitgenössische Kunst informierten Publikums sind allerdings didaktische Bedürfnisse stark verbreitet.
Mit der jüngeren Avantgardekunst, um die sich der aktuelle Diskurs in den internationalen Kunstzeitschriften dreht, ist schließlich nur noch eine kleinen Minderheit vertraut.
Auch Lioba Reddeker nimmt im zweiten Teil der Feldstudie zu diesem Phänomen Stellung:

    Das kulturelle Hintergrundwissen der österreichischen Öffentlichkeit wird scheinbar durch die Logik des Mangels konstituiert, der sich am deutlichsten in den 70er Jahren im Begriff der Informationsgalerie manifestierte.... Die Informationsgalerie wurde seinerzeit als Abhilfe und Ersatz des nicht vorhandenen öffentlichen Angebotes... zu einem Diskurs über Gegenwartskunst entwickelt. Man sollte aber an diesem Punkt nicht verleugnen, dass das Image der Galerien, geprägt durch ihr notwendigerweise kommerzielles Agieren für einen großen Teil des Publikums eine konkrete Schwelle darstellt...
    Wenn oben eine wesentliche Funktion der Galerien mit dem Versuch, Informationsmängel zu beheben, erwähnt wurde, so ist trotzdem darauf hinzuweisen, dass sie Aufgaben, die durch neue künstlerische Produktionsformen auftreten, nur bedingt erfüllen kann:
    Ein charakteristisches Moment dieser neuen Kunst ist die Form der "Produkte“, die nicht mehr unmittelbar kommerziell zu verwerten sind und durch ihren situativen und kontextuell rückgebundenen Bezug häufig temporäres Gepräge besitzen. Der institutionskritische Reflex, welcher einen wesentlichen Teil der aktuellen künstlerischen Produktion ausmacht, ist nicht zuletzt auch aus der Infragestellung des herkömmlichen Systems entstanden, benötigt aber immanent das kritisierte System als Realisations- und Reflexionsmedium.
    (
    Wuggenig, Ulf, Kockot Vera, Reddeker Lioba, Zeitgenössische Kunstrezeption und Probleme des Kunstmarktes in Österreich, Wien, 1994, S47-48)

Lioba Reddeker schließt aus den Untersuchungsergebnissen der Studie, dass Galerien in einer wirtschaftlich zunehmend krisenhaftenSituation diesen Informationscharakter nicht mehr wahrnehmen kann.
Auch die realpolitische Situation in Österreich mit seinen umfassenden Sparmaßnahmen sowohl in sozialen, wirtschaftlichen als auch kulturellen Bereichen erzeugt einen erhöhten Legitimationsdruck auf die Kulturpolitik.
Vor allem dann, wenn es um schwer rezipierbare oder betont kritische Inhalte in der Kunst geht.
In weiterer Folge verweist Reddeker darauf, dass der durch politische und ökonomische Umstände drohenden Regression auf bereits durchgesetzte Inhalte und Formen mit klarem Blick auf die Funktionszusammenhänge begegnet werden sollte, da gerade in diesem Kontext die demokratiepolitische Bedeutung der Akzeptanz von Gegenwartskunst nicht außer Acht gelassen werden darf.
Auch im Bereich der von ihr befragten Künstlerschaft herrscht eine kritische Stimmung gegenüber der Zusammenarbeit mit den Galerien:
Die Hauptkritikpunkte, welche am häufigsten genannt werden, betreffen die Fokussierung in der Arbeit der Galerien auf ihre eigenen (finanziellen und strategischen) Interessen und einer damit verbundenen zu geringen Auseinandersetzung mit der Kunst und dem Künstler sowie die Konzentration auf die bereits etablierten Künstler, was ein Desinteresse an Jungen und Unbekannten mit sich bringt.
Auch was die Fördertätigkeit des Staates anbelangt, wird, wie in Kapitel 1.2 bereits angedeutet, massive Kritik laut, vor allem an den Versuchen, "objektive“ Auswahlverfahren anzuwenden. Ein großer Teil der Künstler fordert eine aktivere und mutigere Entscheidungsstruktur.

    "Es kann kein objektives Auswahlverfahren geben, nur den Versuch einerseits durch Streuung und andererseits durch Schwerpunktsetzung, ein halbwegs gerechtes und sinnvolles Vergabemodell zu entwickeln. Das Beirat-Kuratorenmodell wäre eine Möglichkeit, soferne es keine ideologische, ästhetische Gleichschaltung gibt...“
    (Wuggenig, Ulf, Kockot Vera, Reddeker Lioba, Zeitgenössische Kunstrezeption und Probleme des Kunstmarktes in Österreich, Wien, 1994, Künstlerzitat, ohne Namensnennung, S39)

Ein weiterer wesentlicher Aspekt der kulturellen Entwicklung der Kunst in den 90er Jahren liegt im Bereich der Rezeption und Theorie. Auch hier zeichnet sich eine deutliche Verschiebung der Wertigkeiten ab. Die zunehmende Bedeutung des Diskurses stellt die herkömmliche Rollenverteilung von Kunstproduktion und -rezeption verstärkt in Frage.
Ein Statement wie etwa "Ich fördere nicht maßgeblich die Produktion von Kunst, sondern versuche, Informationskanäle zu öffnen“ von der Bundeskuratorin Lioba Reddeker spricht deutlich die grundlegenden Bedürfnisse einer neuen Kunstproduktion an. Mit dem Kunstraum, dem Depot und der basis, mit der jeweiligen Infrastruktur und ihren regelmäßigen Veranstaltungen, hatten gerade die Kuratoren einen wesentlichen Beitrag für eine theoretische Infrastruktur jenseits der Kunstakademien geschaffen.
Auch die von ihnen geförderten Publikationen und Zeitschriften, wie etwa der springer und in dessen weiterer Folge die springerin, waren wichtige Plattformen neuer Kunstformen und theoretischer Ansätze der österreichischen Kunstszene der Neunziger.
Der Bundeskunstkurator Wolfgang Zinggl nutzte seine Position zudem für deutliche Kritik an der Kunstvermittlung der Kunsthochschulen Österreichs und brachte dazu einen gewagten und stark kritisierten Vorschlag ein: die Fusionierung der beiden Wiener Kunsthochschulen, der Akademie der bildenden Künste und der Hochschule für angewandte Kunst, die - laut seinen Schätzungen - Einsparungen jenseits der 100-Millionen-Schilling-Marke mit sich brächte:

    Zinggl, der sich als Lehrbeauftragter mehrfach darüber wunderte, dass die Studenten nicht wussten, was Beuys wollte, ärgert sich aber nicht nur über doppelte Verwaltungsstrukturen, sondern auch über einen Lehrplan, der noch aus dem letzten Jahrhundert herrühre: "Wir haben 13 Malereiklassen mit einem jährlichen Output von rund 80 Malern. Weil aber die Malerei nicht mehr das vorrangige Medium der Kunst ist, sind natürlich sehr viele von den Absolventen brotlos. Wenn man sagt, diese Künstler müssen wir mit der Gießkanne befriedigen, weil wir sie ja ausgebildet haben, dann ist da etwas Richtiges dran. Aber man sollte lieber aufhören, in eine Richtung auszubilden, für die der Bedarf fehlt.“
    Aus den didaktischen Versäumnissen an den Kunsthochschulen bezieht Zinggl die Daseinsberechtigung seines von seiner Vorgängerin Stella Rollig übernommenen Depots im Museumsquartier:
    "Ich mache vielen Künstlern den Vorwurf, dass sie einfach drauflos arbeiten und dann enttäuscht sind, wenn sich niemand dafür interessiert. Ich finde, man sollte zuerst denken und dann handeln. Daher ist es notwendig, einen Raum für Diskurs, Diskussion und Theorie zur Kunst zu haben.“
    (
    Trenkler Thomas, "Lagerplatz extremer Positionen“, Kunstkurator Wolfgang Zinggl plädiert für die Fusion der Kunsthochschulen, der Standard, 26. 8.1997)

In weiterer Folge unterstützte Wolfgang Zinggl zudem die heftig umstrittene freie Klasse an der Universität für angewandte Kunst.
Die Zukunft all dieser durch die Kuratoren gegründeten Initiativen, die unzweifelhaft einen wesentlichen Anteil an den jüngsten künstlerischen und theoretischen Entwicklungen hatten, ist allerdings bis auf weiteres, trotz Zusagen durch den ehemaligen Staatssekretär Peter Wittmann, durch weiterhin ausstehende finanzielle Zuwendungen ungesichert. So kann etwa der Betrieb des Depots seit Jänner 2000 nur mehr auf Basis von Krediten weitergeführt werden.

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Die Politisierung des künstlerischen Feldes in den 90er Jahren

In den 90er Jahren kam es verstärkt zu einem öffentlichen Diskussion über die Verknüpfung der zwei Begriffe Kunst und Politik.
Einerseits zielte dieser auf die Kunstpolitik oder auch Kulturpolitik, andererseits, wenn auch mit geringerem Stellenwert, auf die Verbindung dieser Begriffe im Sinne von politischer Kunst ab.
Bei der ersten Variante findet man einerseits eine defensive Haltung, die die Kunst als etwas Beschützenswertes betrachtet, andererseits aber auch eine aggressive Haltung, die vor allem von Rechts kommt, vor.
1995 affichierte etwa die FPÖ im Vorfeld der Nationalratswahlen eine Plakatserie mit dem Werbeslogan: "Lieben Sie Peymann, Scholten, Jelinek...oder Kunst und Kultur?“
1997 macht sich der damalige Kultursprecher der ÖVP und jetzige Staatssekretär, Franz Morak, im Rahmen der Serie "Streitobjekt Kunst“ im Standard Gedanken über Scholtens Subventionspraxis:

    Kunst, so wurde Scholten nicht müde, zu versichern müsse "weh tun“....Das Umfassende des künstlerischen Prozesses wird hier auf einseitige Weise verfehlt: Denn die Utopie der Kunst liegt ja auch in einer Versöhnung der Gegensätze im ästhetischen Bereich, in der Schönheit, ja selbst im befreienden Lachen. Der Künstler, den Scholten für förderungswürdig gehalten hat, war der ewig Desintegrierte, der, der sperrige Produkte gegen den Markt produziert und nur einen Ansprechpartner kennt - den zuständigen Beamten. Diese einseitige Auslegung des Kunstbegriffes schuf Künstler, die sich in totaler Abhängigkeit vom staatlichen Tropf befinden.
    (
    Morak Franz, "Das Publikum zurückerobern“, der Standard, Wien, 15.7.1997)

Ende 1998 sorgte Rudolf Burger, der damalige Rektor der Universität für angewandte Kunst, mit zwei Artikeln zu diesem Thema für große mediale Aufregung.
Während sich der erste Artikel "Über die Freiheit der Kunst“ in der Kunstzeitschrift NOEMA mit den Begriffen Kunst- und Kulturpolitik aber auch politische Kunst befasst, ist der zweite Artikel "Die Heuchelei in der Kunst“ im Wespennest eine sehr persönliche Abrechnung mit der spartenüberschreitenden Kunst der Gegenwart, die auch die Sinnhaftigkeit politischer Kunst stark kritisiert und hinterfragt:

    Kunst kann nur frei sein, weil und so lange sie vom Ernst der Politik frei ist, d.h. freigehalten wird und sich selbst frei hält...Das liberale Postulat der Freiheit der Kunst verbietet es, die künstlerische Produktion mit tugendaffirmativen Forderungen zu belasten, auch nicht im Namen einer humanitär-aufklärerischen Kulturpolitik. Ästhetische Konstrukte lassen sich nicht - zumindest nicht immer und niemals restlos - diskursivieren und in die moralisch-politische Rede transformieren (sonst wären sie überflüssig), daher sind auch ihre moralische Verurteilung oder politische Vereinnahmung illegitim: Das Ästhetische ist gerade das Nichtdiskursivierbare an einem Kunstwerk... Die liberale Maxime der Trennung von Staat und Religion findet ihre zeitgemäße Ergänzung in der Trennung von Staat und Kultur - im Interesse der Wahrung des liberalen Prinzips unter kulturalistischen Bedingungen, aber auch im Interesse der Entkunstung der Wirklichkeit und der Befreiung der Phantasie, der Privatisierung des Ästhetischen und der Rationalisierung des Staates.
    (Burger Rudolf, "Über die Freiheit der Kunst.“ Eine Elementarbetrachtung, NOEMA, Wien, Juli/Aug 1998)

In der gleichen Ausgabe der Kunstzeitschrift NOEMA vertritt der damalige Bundeskunstkurator Wolfgang Zinggl gewissermaßen den 3. Aspekt dieser Begriffsverbindung, nämlich den offensiven der politischen Kunst:

    Wer also will, dass die Kunst keinen Anspruch auf die Verbesserung des Zusammenlebens erheben soll, dass sie die Enttabuisierung irrationaler Konventionen oder die Korrektur der Werteverhältnisse besser bleiben lässt, kurzum, wer ihr das politische Handeln abspricht, macht sie nicht frei, sondern unmündig.
    (Zinggl Wolfgang, Wer mit dem Schafspelz tanzt..., NOEMA, Wien, Juli/Aug 1998)

Christian Kravagna setzt sich in dem Kapitel "Zur Politisierung des künstlerischen Feldes in den 90er Jahren“ in dem Sammelband "Kunst und ihre Diskurse in den 80er und 90er Jahren“ mit der Entwicklung des politisch-gesellschaftlichen Bewusstseins auseinander:

    Geht man davon aus, dass es während der 80er Jahre in Österreich so gut wie keine politisch motivierten künstlerischen Äußerungen gegeben hat, dann ist zu fragen, wie sich dies in den frühen 90er Jahren, wenn auch nur am Rande, so doch spürbar, ändern konnte. Die Voraussetzungen - nicht nur die gesellschaftlichen, sondern auch die des künstlerischen Feldes selbst - müssen sich zumindest teilweise gewandelt haben. Neben der verstärkten Rezeption anderswo praktizierter, anknüpfungsfähiger Strategien einerseits und der verschärften politischen Lage andererseits ist noch ein dritter Faktor zu berücksichtigen: die veränderten Arbeitsbedingungen für die Arbeit jüngerer KünstlerInnen im lokalen Produktionszusammenhang... Wie internationale Entwicklungen zeigen, bilden sich politische, aktivistische oder institutionskritische Positionen fast immer auf der Basis einer konzeptuellen Auffassung der Künstlerrolle heraus.... Mit Positionen wie denen von Heimo Zobernig, Gerwald Rockenschaub oder Marcus Geiger, die in den späten 80er Jahren wichtig wurden, war erstmals wieder ein konzeptuell kontextueller Kunstbegriff "etabliert“, der um 1990 die Grundlage für kritische Kunstpraktiken werden konnte.
    (Aigner Carl, Hölzl Daniela, Hrsg., Kravagna Christian, Kunst und ihre Diskurse in den 80er und 90er Jahren, Wien, 1999, S. 67 - 68)

Neben dem museum in progress weist Christian Kravagna in diesem Zusammenhang vor allem auf den nachhaltigen Einfluss der "WochenKlausur“ , dessen zentrale Figur Wolfgang Zinggl war und ist, hin.
Die WochenKlausur mit ihren "Interventionen“, die die Kunst quasi als Kapital zur Erreichung bestimmter politischer und sozialer Zwecke einsetzten, spricht sich allerdings auch klar gegen eine Kunst,die ihrer Ansicht nach keine in ihrem Sinne überprüfbaren Ergebnisse erzielt, aus. Ästhetische Belange haben in diesem Modell keine Bedeutung mehr. So scheint es auch wenig verwunderlich, dass die theoretischen Ansätze dieses Kunstbegriffes, der sehr stark auf klare Rechtfertigungsbeweise und Differenzierungen innerhalb dieses bedacht ist, auf sehr kontroversielle Reaktionen gestoßen ist.
Durch die Kuratorentätigkeit Wolfgang Zinggls, die - mit ihrer radikalen Ausschließlichkeit bei der Förderung von Künstlerprojekten - maßgeblich die Entwicklung politischer Kunst gegen Ende der 90er Jahre mitbestimmte, wurde diese Kritik noch mehr verstärkt.
Man muss in diesem Zusammenhang allerdings auch darauf hinweisen, dass Wolfgang Zinggl nur eine der Anlaufstellen für politisch motivierte künstlerische Aktivitäten darstellte. Neben Robert Fleck, Stella Rollig und Lioba Reddeker war er nur einer der Bundeskuratoren, die derartige Projekte unterstützten.
Weitere Orte für diese Kunst waren z.B. auch die Secession, die Biennale, diverse neuentstandene Alternative Spaces, aber auch private Unternehmen wie etwa die Generali Foundation, die sich allerdings stärker internationaler Künstler annimmt. Wolfgang Zinggl, in seiner Funktion als Bundeskunstkurator aber auch als Endredakteur des Weißbuchs, und "seine“ ebenso kontroversielle wie auch argumentationsstarke WochenKlausur waren allerdings wichtige Wegbereiter für eine stärkere öffentliche Akzeptanz von gesellschaftskritischer politischer Kunst.

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Ein Ausblick auf eine mögliche Zukunft der Kulturpolitik am Beispiel des Weißbuchs 1999

Die vorhergehenden Kapitel haben eine deutliche Tendenz zu einer Verschiebung der Interessen und Mechanismen der bildenden Künste aufgezeigt, die auch alle anderen Bereiche der Kunst betreffen. Das Bundeskuratorenmodell entstammte noch der Amtszeit des Bundesministers Scholten und hatte erstmals die Gelegenheit geboten, direkt und unbürokratisch auf neue Entwicklungen zu reagieren, trotz allem verzichtete man bereits mit September 1999, also noch unter der SPÖ-ÖVP Koalition, auf dessen Weiterführung, zumindest im Bereich der bildenden Kunst. Das Kuratorenmodell war bereits im Juli 1999 vom zuständigen Staatssekretär Peter Wittmann, der zugleich ein klarer Befürworter des Depots war, in Frage gestellt worden.
Zeitgleich präsentierte das Bundeskanzleramt aber ein mutiges Thesenpapier zur Zukunft der Kulturpolitik, das im Laufe des Vorjahrs aus der Zusammenarbeit mehrerer Sachverständiger unter Zurhilfenahme des Internets entstanden war.
Der Name dieses Papiers war Weißbuch und einer der Schlussredakteure war, wie bereits erwähnt, der damals aktive Bundeskunstkurator Wolfgang Zinggl, der damit einen wesentlichen Einfluss auf den Inhalt und die endgültige Form hatte.
Bei der Pressekonferenz zur Präsentation relativierte Peter Wittmann zwar die Relevanz des Weißbuchs für tatsächliche zukünftige kulturpolitische Entscheidungen, bezeichnete es aber doch als einen Maßnahmenkatalog auf den man jetzt jederzeit zurückgreifen könnte.
Der amtierende Bundeskanzler Viktor Klima wollte mit dem Weißbuch, nach dem Vorbild der jüngsten Reformen Großbritanniens, Experten und Künstler dazu anregen, in einem klar strukturierten Rahmen den Ist-Zustand der Kulturpolitik zu analysieren und einen Zielkatalog zu erarbeiten.
Auf 216 Seiten werden die Aufgaben der Kulturpolitik, der legistische Handlungsbedarf, die Verwaltung und die spartenspezifischen Anforderungen abgehandelt.
Wesentliche Argumente des Weißbuchs zielen in Richtung eines eigenen Kulturministeriums, einer stärkeren Absprache der unterschiedlichen Förderungsgremien des Bundes und der Länder, aber auch in Richtung einer Weiterführung des Kuratorenmodells in den Bereichen Tanz und neue Medien. Auch das Manko der im Jahresrhythmus vergebenen Förderungen für ständige und mehrjährige Projekte und die Förderung privater Initiativen, durch Öffentlichkeitsarbeit und Steuerbegünstigungen sind darin berücksichtigt.
Der wichtigste Beitrag des Weißbuchs im Bereich der bildenden Kunst liegt aber im mehrmaligen Verweis auf den neuen spartenübergreifenden Kunstbegriff:

    Die bildende Kunst lässt sich immer weniger auf ihre traditionellen Formen reduzieren. Arbeiten, die einem veränderten Kunstbegriff folgen, und Cross-over Projekte zeigen ein neues Erscheinungsbild der Kunst.
    Die Struktur der österreichischen Kunstförderung ist, wie auch die Struktur der Kunstuniversitäten, diesen Veränderungen gegenüber nicht offen genug und zu wenig ausdifferenziert. So konnte sie sich den aktuellen Herausforderungen... überhaupt nicht anpassen und verharrt im traditionellen Sparten- und Werkdenken... Viel zu wenig Aufmerksamkeit wird auch den transdisziplinären Veränderungen, also der Zusammenarbeit von KünstlerInnen mit Nichtkünstlern, gewidmet.
    (Weißbuch, Wien, 1999, S141)

Als Lösungsansätze für diese veränderte Ausgangslage werden höhere Flexibilität, längerfristige Förderung von modellhaften Einrichtungen, die eine entsprechende Infrastruktur anbieten, und das grundsätzliche Einbeziehen von Kuratoren, Theoretikern und Kritikern in alle Belange der Förderungsmaßnahmen angeboten.
Gleichzeitig liegt auch eine starke Betonung auf der Theorie, Reflexion, Vermittlung und dem Diskurs und der damit verbundenen Forderung nach stärkerer öffentlicher Anerkennung dieser:

    Das Bild des Kunstvermittlers hat sich in den letzten Jahrzehnten dadurch verändert, dass auch Künstlerinnen und Künstler wesentlich zur Theorieproduktion beitragen. Der Begriff der Vermittlung muss in der bildenden Kunst grundsätzlich überdacht werden. Es ist weniger davon auszugehen, dass Unverständliches lediglich an ein nicht näher definiertes Publikum psychologisch wirksam weitergeleitet werden müsste. Vielmehr geht es darum, Kritik und Diskurs als Teil der Produktion aufzufassen. Das Schaffen von Öffentlichkeit ist ein unverzichtbarer Teil jeder Kunstproduktion. Der Kunstbegriff wird nicht allein durch Einbringen von Beispielen, sondern auch über Meinung zu diesen Beispielen bestimmt.
    (
    Weißbuch, Wien, 1999, S143)

Als Maßnahmen werden, neben einem neu zu überdenkenden Verständnis von Theorie und Kritik im Zusammenhang mit der bildenden Kunst, die Förderung der Kritik nach dem Vorbild des Wissenschaftsbereichs mit Stipendien und Auslandsaufenthalten und die Förderung der Theorie im Hinblick auf die Interdisziplinarität vorgeschlagen.
Wesentlich an dieser Publikation ist vor allem, dass dieses Buch im öffentlichen Auftrag entstanden ist und damit als Vorgabe für zukünftige Maßnahmen immer als Vergleichsmaßstab gelten wird.
Das Vorwort von Wolfgang Zinggl und seine inhaltlich prägende und deutlich ablesbare Mitarbeit spiegeln gleichzeitig einen Teilaspekt des Potentials der möglichen Einflussnahme auf die Kulturpolitik durch die Bundeskuratoren wider. Angeregt durch seine Mitarbeit am Weißbuch, zielten etwa die Überlegungen von Andreas Mailath-Pokorny verstärkt in Richtung von einzelverantwortlichen Personen und Gremien jenseits des klassischen Förderungssystems, die mit entsprechendem Einfluss ausgestattet wären. In einem Gespräch mit dem Standard spricht dieser die Möglichkeit einer Ausgliederung der Kunstförderung nach dem Beispiel der Bundestheater und -museen an:
Die Schaffung eines Fonds erachtet Mailath-Pokorny für die sinnvollste Variante: "Man hat klare Strukturen, verantwortliche Geschäftsführer und Einteilungen, die sich den Kunstformen anpassen.“
Unter der neuen Koalition spricht man stattdessen von der Schaffung einer Österreichischen Nationalstiftung zur Sicherung und Pflege österreichischen Kulturguts sowie von der Bereitstellung von Risikokapital durch Venture Financing im Bereich der Kreativwirtschaft. In welche Richtung die weitere Zukunft der staatlichen Maßnahmen gehen wird, lässt sich allerdings zum gegenwärtigen Zeitpunkt, auch auf Grund der anstehenden Sparmaßnahmen, schwer abschätzen. Sicher scheint lediglich, dass in den 90er Jahren ein nicht zu unterschätzender Umdenkprozess innerhalb der sozialdemokratisch geleiteten Kulturverwaltung begonnen hat. Ob dieser Beamtenapparat, der ja teilweise auf Grund von Pragmatisierung oder längerfristigen Verträgen nicht so schnell gewechselt werden kann, noch Einfluss auf die neue Regierung und deren Programm ausüben kann, ist allerdings anzuzweifeln.

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Kunst und Kultur im neuen Regierungsprogramm der schwarzblauen Koalition

Seit dem 4. Februar 2000 sind die Karten der Politik und der Kulturpolitik neu verteilt worden. Einerseits sind ein Großteil der Kunstbelange noch immer im Bundeskanzleramt untergebracht, andererseits soll aber der neue Kunststaatssekretär Franz Morak die Kunstbelange des Kanzlers zur Gänze übernehmen. So erklärt der Burgschauspieler Franz Morak, der sich bisher vorwiegend durch seine ablehnende Haltung gegenüber dem ehemaligen Burgtheaterdirektor Claus Peymann in der Öffentlichkeit profiliert hatte, in diversen Interviews mit verschiedenen Tageszeitungen und Magazinen, dass die Kunst ab jetzt nicht mehr "Chefsache“ des neuen Kanzlers Wolfgang Schüssel sei, sondern ausschließlich in seinem mit mehr Kompetenzen ausgestatteten Bereich liegt. Einige Belange der Kulturpolitik, wie etwa die Bundesmuseen, sind allerdings nach wie vor im Bereich des neuen Bundesministeriums für Unterricht, Wissenschaft und Kultur untergebracht, was weiterhin eineTrennung der Kompetenzen darstellt. Das im vorigen Kapitel zitierte Weißbuch hatte, wie nicht anders zu erwarten, kaum oder nur in wenigen Bereichen Einfluss auf die neue Kulturpolitik.
So werden etwa neue künstlerische Strömungen und aktuelle Kunst im Regierungsprogramm nicht erwähnt, dafür ist viel von "Archivieren“ und "Bewahren“ die Rede. Auch im Punkt 7 des Programms, der auch im provisorischen Regierungspapier der Koalitionsverhandlungen mit der SPÖ enthalten war, wurde der einzige Verweis auf die Gegenwartskunst gestrichen.
Die neue Regierung bekennt sich zwar zum hohen Stellenwert und zur Freiheit der Kunst, allerdings indem sich der Staat weitgehend zurückzieht. Jörg Haider verwies in der Pressestunde vom 06.02.2000 dezidiert auf diesen Rückzug des Staates, da dieser, nach dem Vorbild der freien Marktwirtschaft, ähnlich wie in den USA, höhere Chancengleichheit für alle Künstler, also nicht nur für die oft zitierten "Staatskünstler“, bedeuten würde. Die wichtigsten Schritte, die zu dieser "Privatisierung“ oder auch Freiheit der Kunst von Politik führen, liegen vor allem in der geplanten neuen Steuerreform, die eine Absetzbarkeit von Kunst vorsieht.
In diesem Zusammenhang könnte man natürlich auf viele unterschiedliche Aussagen und Artikel von österreichischen Kunstschaffenden und Theoretikern zu dieser "Grundsatzfrage“ nach der Einmischung oder Nichteinmischung des Staates zurückgreifen. Einerseits klagte die Künstlerschaft immer wieder über die diskreditierende "Abhängigkeit“ vom Staat und wünschte sich eine starke und finanzkräftige Marktwirtschaft, andererseits ist man sich aber darüber im Klaren, dass in Österreich noch immer keine Basis für eine solche vorhanden ist und bisher auch kaum ein befriedigender Anschluss an den internationalen Markt erfolgt ist. Diese Situation wird natürlich im Augenblick durch den Gewissenskonflikt einzelner Künstler darüber, Gelder von dieser neuen Regierung zu nehmen, und den internationalen Boykott Österreichs, der auch im kulturellen Bereich zu greifen kommt, verschärft. Die ehemalige Bundeskunstkuratorin Lioba Reddeker wies in einem Vortrag anlässlich des FOKUS Symposions in Graz 1998 auch auf ein weiteres Problem, das sich durch solche Privatisierungstendenzen im Zusammenhang mit der österreichischen Kunstwirklichkeit ergibt, hin:

    Wie kann man nun nach einer Verstärkung privaten Engagements rufen, ohne sofort große Lösungen zu versprechen oder eine kontraproduktive Dynamik zu provozieren, die jene Gruppen und Proponenten des Kunstfeldes schwächt, deren Produktionsweisen und inhaltliche Positionierungen nicht oder nur bedingt privatem Engagement zugänglich sind? Jener Sektor der spezifischen Produktion wird immer auf staatliche Fördermittel angewiesen sein. Zumal wenn eine gesellschaftliche Entwicklung angesprochen ist, die mit privatem Engagement auch “Privatheit” meint, die sich als konsumistischer Rückzug, subjektivierte Geschmacksurteile und Entpolitisierung äußert.
    (
    Reddeker Lioba: Cosi van tutte, Fokus Symposion, Graz, 1998, www.basis-wien.at)

Ähnlich wie Lioba Reddeker sieht auch Wolfgang Zinggl eine Gefahr im Rückzug des Staates:

    Das ist zweifelsohne eine Bereicherung für die Gemeinschaft, auch wenn da gelegentlich Regierungen kritisiert werden, Rot oder Blau. Diese Aktivitäten brauchen natürlich Investitionen, die der Handel aufgrund seiner Gesetzmäßigkeiten und seines Strebens nach kurzfristiger Maximierung des Kapitals nicht tätigen kann. Was sich nun an Überlebenskampf und Krampf ihrer Adepten abspielt, wenn sie die staatliche Finanzierung verlieren, lässt sich in den USA beobachten. Ein Vorgeschmack auf das, was in Europa geschehen könnte, wenn nur noch die Logotafeln am Sektbuffet das Sagen hätten. Werden diese Initiativen ausgehungert, weil sie manchmal beißen, brauchen bald auch die Oppositionsparteien keine Hand mehr, die sie füttert. Es wäre eine harm- und zahnlose Kultur, wenn sie die Hand nicht beißen dürfte, von der sie gefüttert wird. Und es wäre ein totalitärer Staat, der ihr so eine harmlose Rolle zuwiese. Es wäre vor allem aber eine kurzsichtige Reaktion aller kritischen Geister, ein beleidigtes Türenschlagen und Hinwerfen, wenn sie nicht um diese Finanzierung kämpften, solange es geht - im Interesse des Gemeinwohls. Jeder Rückzug ins Private kommt nämlich just den Wünschen derer entgegen, die genau das zu ihrem Programm gemacht haben: die Reduktion des Staates zugunsten der freien Wirtschaft. Ist die Kritik erst einmal von den Versicherungen abhängig, darf sich niemand wundern, wenn dafür auch Polizzen unterschrieben werden müssen.
    (
    Zinggl Wolfgang, "Kein Rückzug bei Kürzungen“, Profil, Wien, 20.4.2000)

Letztlich stellt sich bei einer derartigen Freiheitsdeklaration automatisch die wichtige Frage nach dem "Wovon die Kunst frei sein sollte?“.
Im neuen Programm der Koalitionsregierung werden in insgesamt 17 Punkten die zentralen Themen der Kulturpolitik abgehandelt.

Kultur und Kunst
(
"Österreich neu regieren“, das Regierungsprogramm der ÖVP und FPÖ, Jänner 2000, S 100-101)


Kultur und Kunst haben in Österreich einen überdurchschnittlich hohen Stellenwert. Diesen Stellenwert gilt es zu erhalten, auszubauen und für die Zukunft
zu sichern. Die Freiheit der Kunst ist das tragende Prinzip der Kunstförderung und Kulturpolitik. Der Staat hat dabei seine Tätigkeit auf die Schaffung von stimulierenden Rahmenbedingungen und Entfaltungsmöglichkeiten für Künstlerinnen und Künstler zu konzentrieren.
Zu diesem Zweck werden die nachstehenden Maßnahmen in Aussicht genommen.
1. Bessere Planung für Kulturarbeit durch Mehrjährigkeit der Förderverträge und durch regelmäßige Evaluierung.
2. Förderung der kulturellen Ausdrucksformen der Regionen sowie bessere und ausgewogenere regionale Verteilung der Mittel nach § 2 des Kunstförderungsbeitragsgesetzes und nach den Bestimmungen des Kunstförderungsgesetzes.
3. Im Wohnbau und im öffentlichen Bau sollen baukünstlerische Schwerpunkte gesetzt werden.
Vordringlich sind dabei Begleitmaßnahmen in der Stadtplanung, in der Architekturforschung und im Architekturmarketing sowie die konsequente Sicherung von Nachlässen österreichischer Architekten und deren Dokumentation.
4. Anpassung der Steuer- und Sozialgesetzgebung an die künstlerische und kulturelle Praxis:
Schaffung eines Erlasses zur Interpretation des EStG im Hinblick auf die Absetzbarkeit und steuerliche Begünstigung der berufsspezifischen Ausgaben: Neufassung des Künstlererlasses AÖF 97/92. Schaffung der Möglichkeit, auf Antrag die Einkünfte aus einem bestimmten Projekt auf drei bis fünf Jahre verteilt zu versteuern oder Möglichkeit des Verlustrücktrags.
5. Schaffung einer Künstlersozialversicherung 2001, wobei insbesondere die Frage des Kreises der Anspruchsberechtigten zu klären ist.
6. Schwerpunktprogramm für den Österreichischen Film durch effizienteren Einsatz der Fördermittel und bessere Kooperation zwischen Bund, Ländern und ORF. Ausbau des Filmstandortes Österreich; Bereitstellung von Risikokapital. Koordinierung zwischen dem Wirtschaftsministerium und dem für Filmförderung zuständigen Ministerium.
7. Schaffung einer Österreichischen Nationalstiftung zur Sicherung und Pflege österreichischen Kulturguts, zur Präsentation österreichischer Kultur im Ausland sowie Realisierung der Möglichkeit, Künstlerarchive und Vermächtnisse (“Vorlässe“) österreichischer Kulturschaffender zu sichern.
8. Die Digitalisierung des Kulturgutes ist notwendig, um das kulturelle Erbe Österreichs einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.
9. Förderung von Forschung, Archivierung, Dokumentation und Evaluierung im Kulturbereich sowie Forschungsschwerpunkt Volkskultur, auch durch Vernetzung mit Kunstuniversitäten, Wissenschafts- und Forschungsinstitutionen.
10. Ausweitung der Ablieferungspflicht an die Nationalbibliothek auf elektronische Medien.
11. Die Absetzbarkeit von Aufwendungen für Kunst als Sonderausgabe wird im Rahmen der Steuerreformgruppe behandelt.
12. Zusammenführung der beiden vorliegenden Konzepte für ein Haus der Geschichte der Republik Österreich und für ein Haus der Toleranz.
13. Umsetzung der Vollrechtsfähigkeit der Bundesmuseen und des vereinbarten Sanierungsprogramms der Bundesmuseen sowie des Museumsentwicklungsplanes.
14. Sicherstellung der Förderungsmittel für den Denkmalschutz. In diesem Zusammenhang soll u.a. die Durchführung von Rubbelaktionen für den Denkmalschutz ermöglicht werden.
15. Bereitstellung von Risikokapital durch Venture Financing bei Dienstleistern und Investmentfonds im Bereich der Kreativwirtschaft. Maßnahmen zur gewerblichen Nutzung kreativer Leistung, zielgruppenorientiertes Gründerservice.
16. Stärkeres kulturelles Engagement im internationalen Bereich, insbesondere auch in den MOE-Ländern, Stärkung der Kulturinstitute, Marketingprogramme für österreichische Kulturproduktionen.
In Zusammenarbeit mit dem ORF sollen die Österreich-Bibliotheken und Kulturinstitute um so genannte Auslandsvideotheken erweitert werden (Schwerpunkte: Dokumentationen, Werke österreichischer Filmschaffender).
17. Folgerecht: Keine Einführung des Folgerechts in Österreich und Abschaffung der Ausstellungsvergütung (§ 16b UrheberrechtsG).

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